Abwasser ist das Metier von Willy Lenk. Für den 41-Jährigen ist sein Beruf so zur Herzenssache geworden, dass er auch ausländischen Fachleuten zeigt, wie gut die Abwasserentsorgung funktionieren kann. Und das mittlerweile seit Jahren. So ist Vietnam für ihn bereits zum festen Reiseziel geworden. Schließlich ist der Weinböhlaer bei der Dresdner Stadtentwässerung seit 2013 als Referent für internationale Projekte zuständig und war bereits 13 mal dort.
Lenk ist ein Mann der Praxis, der anderen zeigen kann, wie's funktioniert. 1997 begann sein Weg bei der Stadtentwässerung mit der Lehre als Fachkraft für Abwassertechnik. Jahrelang arbeitete er im Kanalnetz. Ab 2005 drückte Lenk wieder die Schulbank und qualifizierte sich zum Meister. So leitete er über zehn Jahre lang ein neunköpfiges Team auf der Kläranlage, auch, als sein internationales Engagement bereits begonnen hatte. Mittlerweile prüft der Experte bereits angehende Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK).
Warum soll also nicht Fachkräften im Ausland geholfen werden? „Eigentlich ist es für einen kommunalen Entsorger jedoch nicht typisch, sich international zu engagieren“, erklärt Lenk. Doch die Geschäftsführung der Stadtentwässerung habe das schon vor vielen Jahren für nötig gehalten. Deutschland habe extrem hohe Standards bei Trink- und Abwasser. „Es betrifft uns aber auch, wenn die Umwelt in anderen Ländern der Welt verschmutzt wird. Warum sollen wir nicht den Blick über den Tellerrand wagen?“, fragt er.
Abwassergebühren der Dresdner werden dabei aber nicht eingesetzt. Denn die Projekte der Stadtentwässerung werden über Fördermittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit eingesetzt.
Vietnam will ein modernes Abwassersystem ausbauen und Fachkräfte nach dem Vorbild des dualen Systems in Deutschland theoretisch und praktisch ausbilden. „Denn darin sind wir Weltmeister“, sagt der Experte. Dabei helfen Willy Lenk und andere Fachleute der Stadtentwässerung mit, dort Lehrkräfte und Ausbilder zu qualifizieren, sodass sie Fachkräfte für Abwassertechnik ausbilden können. Moderne Kläranlagen gibt es in Vietnam zwar bereits. Aber ansonsten ist vieles anders. Das musste Lenk erkennen, als er 2013 das erste Mal nach Ho-Chi-Minh-Stadt reiste, das frühere Saigon.
Nach den ersten Abstimmungen ging es ganz praktisch los. Mit dabei war der Kaditzer Kläranlagen-Chef Gert Bamler. „Da sind wir ins kalte Wasser gesprungen“, berichtet Lenk. Fast zwei Wochen lang unterrichteten sie am College of Technology, einer Art Berufsschule, 30 vietnamesische Ausbilder. Dabei ging es unter anderem um die Gestaltung der Ausbildung, aber auch um ganz praktische Themen wie den Arbeitsschutz, das Lesen von Kanalisationsplänen sowie um spezielle Arbeiten im Kanal.
Das Übersetzen war kein Problem, schließlich standen den Dresdner Experten Dolmetscher zur Seite. Allerdings hatte Lenk dabei eins unterschätzt. Seine Folien, anhand derer er die Themen erklärte, waren alle auf deutsche Verhältnisse bezogen. „Ich habe mich gewundert, dass nach einem kurzen Satz von mir die Dolmetscherin fünf Minuten redete“, sagt er. Die Vietnamesen als sehr freundliche Menschen hätten ihn dennoch immer sehr interessiert angeschaut. So erläuterte Lenk beim Thema Arbeitsschutz, wie im Kanal ein Gaswarngerät im Schacht hinabgelassen wird, um zu prüfen, dass keine giftigen Gase im Untergrund sind. Außerdem erklärte er, wie Straßen vor Kanalarbeiten abgesperrt werden müssen. Dabei schauten ihn die vietnamesischen Abwasserausbilder immer ganz ungläubig an. Erst später wurde ihm klar, warum.
Abwasser fließt nur knapp unter der Straßenoberfläche
Das erkannte Lenk, als er abends mit Gert Bamler durch die Straßen schlenderte. „Dabei entdeckten wir eine Kanalnetz-Kolonne, die mit Leiterwagen in Sandalen unterwegs war“, sagt Lenk. Als die Arbeiter einen 100 Kilo schweren Schachtdeckel mit der Eisenstange öffneten, guckten die Dresdner nicht schlecht. Während das Abwasser in Dresden tief unten im Kanal fließt, stand es dort bis ganz oben. „Das war für uns der Aha-Moment.“ Ein Gaswarngerät hätte dort nie hinabgelassen werden können. Zudem erfuhren sie später, dass die Vietnamesen so ein Gerät überhaupt nicht kannten und seine Funktion schon gar nicht. Außerdem merkte er vor Ort, dass seine Baustellen-Absperr-Erläuterungen nach deutschem Muster für Ho-Chi-Minh-Stadt absurd waren. „Solche Schilder interessieren dort keinen. Würde man die Straße ganz sperren, würde bei dem dortigen Verkehr das Chaos ausbrechen“, erklärt Lenk.
Heute kann er nur noch über diese Anfänge nur noch schmunzeln. „Wir dürfen uns bei solchen Workshops nicht auf unsere Abwasseranlagen beziehen, sondern auf ihre“, resümiert er. Also schauten sich die Dresdner sowohl die dortigen Kläranlagen als auch die Kanalsysteme an und machten sich ein umfassendes Bild. Mittlerweile bildet Lenk nicht nur in Ho-Chi-Minh-Stadt, sondern auch in Hanoi vietnamesische Lehrkräfte aus, hat sich an Langstreckenflüge über fünf Zeitzonen gewöhnt und hat auch vietnamesische Freunde – so einen Lehrer am College und die Dolmetscherin Linh.
"Mit einem Lächeln kommt man überall durch"
Auch privat zieht es ihn dorthin. Mit seiner Familie ist Willy Lenk 2018 nach Vietnam geflogen und durch sämtliche Klimazonen von Süd bis Nordvietnam gereist. Mit dabei war auch sein dreijähriger Sohn Karl. „Die Vietnamesen sind sehr freundlich und extrem kinderlieb“, berichtet Lenk. So wurde der kleine Karl richtig verwöhnt.
„Mit einem Lächeln kommt man dort überall durch“, ist eine weitere Erfahrung. Als sie Dolmetscherin Linh besuchten, die mit ihrem Mann und dem Sohn in Hanoi wohnt, lernten sie noch ganz andere Seiten kennen. „In ihrer Wohnung im Hochhaus waren wir nur ganz kurz.“ Dann ging es vors Haus auf den zentralen Grillplatz, wo Lenks Familie kulinarisch verwöhnt wurde. Nebenan saß die Yoga-Gruppe. „Das Leben findet dort nicht hinter den eigenen vier Wänden statt, sondern auf der Straße. Das ist ein sehr gutes Miteinander.“
Der Dresdner Abwasserfachmann staunt zudem, wie fleißig die Vietnamesen sind, die er ausbildet. „Jeder hat dort zwei oder drei Jobs“, berichtet er. Während sie tagsüber in der Abwasserbranche lehren oder den Unterricht vorbereiten, arbeitet der eine abends noch im Kosmetiksalon seiner Frau, ein anderer fährt nebenbei Taxi. Da sie im Hauptjob nicht viel verdienen und die Preise hoch sind, ist das auch nötig. Denn mit einem Einkommen kommt eine Familie nicht hin.