Teil 1: Überblick und Mittelalter
Einen Großteil des Wissens über die Anfänge der Neuen Dresdner Kanalisation beziehen wir aus Veröffentlichungen des Dresdner Stadtbaurats Hermann Klette Anfang des 20. Jahrhunderts. Für die Deutsche Bauzeitung schrieb er im Jahre 1906 in mehreren Folgen Artikel über »Die Entwässerungsanlagen der Stadt Dresden und ihre Ausbildung für die Zwecke der Schwemmkanalisation«. Er schildert darin die Bemessungs- und Konstruktionsprinzipien, der von ihm und seinem Team konzipierten modernen Dresdner Abwasseranlagen.
Aber Klette schaut zunächst auch zurück und spricht von zwei Perioden, die bezüglich der Entwässerungsanlagen Dresdens zu unterscheiden seien: der Zeit vor der Neuorganisation des Tiefbauamtes 1890 und der danach. Er tat dies wohl in dem Bewusstsein, mit der Konzeption und Umsetzung seiner sich später als überaus nachhaltig erwiesenen technischen Lösungen eine neue Ära begründet zu haben. Gleichzeitig geschah es aber auch unter dem Eindruck und den Erkenntnissen schon 16 Jahre andauernder Dokumentationsarbeiten, die zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht abgeschlossen waren. Die in den zurückliegenden Jahrzehnten und Jahrhunderten errichteten Wasserableitungssysteme, die damals fast durchweg immer als »Schleußen« bezeichnet wurden, sind i. d. R. nicht kartiert worden. Im Ergebnis dieser mühsamen Arbeit entstanden u. a. die »Mensel-Blätter«, die im Archiv der Stadtentwässerung Dresden GmbH gehütet werden.
Seit Klette sind nun über 100 Jahre vergangen und die Dresdner Kanalisation hat neue Bauphasen erlebt. Etwa die Stadterweiterungen in den 1970er und 1980er Jahren und die Nachwende-Bauphase, die durch Erschließungsmaßnahmen für Neubaugebiete und bestehende Altbebauung geprägt war und in zunehmendem Maße Erneuerungs- und Renovationsmaßnahmen beinhaltete, darunter die noch andauernde Komplettsanierung der Abfangkanäle.
Zudem brachten in den letzten Jahren archäologische Erkundungen im Innenstadtbereich neue Erkenntnisse zur Stadtentwicklung, auch zu Wasser-und Abwasseranlagen. Die Frage, wann in Dresden die ersten Abwasserkanäle errichtet wurden, kann heute historisch gesichert beantwortet werden. Die Ausgrabungen am Neumarkt ergaben, dass die ältesten Rinnensysteme aus der Zeit um 1200 stammen. In den folgenden Jahrhunderten wurde eine Phase steinerner Schleusenbauten fortgesetzt, die sich in der Zeit, als Dresden mit der Niederlegung der Festungsmauern endgültig seine mittelalterlichen Strukturen ablegte, auf die Vorstädte ausweiteten.
Mit der erstmaligen Schaffung einer städtischen Institution für »Straßen- und Schleußenbau « begann dann unter Leitung von Carl Mank eine 23-jährige Zwischenepoche, die trotz einiger Irrtümer als Vorbereitung des modernen Kanalisationswesens betrachtet werden kann. All diese Abschnitte sollen in der Reihe Dresdner Kanalisationsgeschichte näher betrachtet werden.
Die Entwässerung der mittelalterlichen Stadt
Fast alle Entwässerungsanlagen enden früher oder später in einer Vorflut, einem Oberflächengewässer oder dem Grundwasser. Während heute Transportkanäle Abwässer über viele Kilometer zu Behandlungsanlagen leiten, waren im Mittelalter und der frühen Neuzeit kurze Wege gefragt – ein Prinzip, dass seit einiger Zeit hierzulande für die Regenwasser-Bewirtschaftung wieder neu entdeckt wird.
Ein Blick auf die Situation Dresdens im 13. Jahrhundert zeigt, dass die Stadt zwar nicht direkt an der Elbe lag, gleichwohl aber Festungsgräben und der Kaitzbach, später auch der Weißeritzmühlgraben, als Vorfluter von jedem Punkt der Stadt problemlos erreichbar waren. Die neuere, nicht nur auf historischen Karten, sondern auf einer Vielzahl von geologischen und Grabungsaufschlüssen basierende Forschung hat nachgewiesen, dass der Altstadtkern und die vor den Toren der Stadt gelegene Frauenkirche auf hochwassersicheren Kuppen lagen. Um die Höhen herum befanden sich Niederungen, die von Überflutungen durch die Elbe, mehreren Kaitzbacharmen und Seen geprägt waren. Und von den höher gelegenen Arealen musste Abwasser und Niederschlagswasser abgeleitet werden.
Bei den in der Mitte der 1990er Jahre im Bereich des Altmarktes vorgenommenen Ausgrabungen wurden Rinnensysteme freigelegt, die Ende des 12. Jahrhunderts entstanden waren und wohl diesem Zwecke gedient hatten. Zudem wurde eine große Zahl von Fäkalien- und Abfallgruben sowie Brunnen gefunden. Sie sind die ältesten Zeugnisse entwässerungstechnischer Art in unserer Stadt. Im Jahr 2009 fasste der Archäologe Dr. J. Beutmann den neuesten Erkenntnisstand aus den Ausgrabungen rund um den Neumarkt in einem Beitrag zum »Wasserbau im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Dresden« zusammen.
Beutmann berichtet, dass an verschiedenen Stellen in Dresden kleine gedeckte mittelalterliche Wasserkanäle aus der Zeit um 1200 gefunden wurden. Der am besten dokumentierte Kanal befindet sich unter dem Ostflügel des Residenzschlosses. Er besteht aus Plänerplatten, mit denen er auch gedeckt ist, was auf eine unterirdische Lage hindeutet. Der Kanal hatte wohl hauptsächlich die Aufgabe der Zuführung von Wasser, wird aber auf seinem Weg zur Vorflut vermutlich auch Entwässerungszwecken gedient haben. Ein ähnlich konstruierter Kanal mit einer Sohle aus Brettern, gebaut im 14. Jahrhundert, wurde auf dem Neumarkt entdeckt. Er verfügt über zwei Zuflüsse, die Traufwasser eines Hauses in den Kanal leiteten – also wohl einer der ältesten bekannten Dresdner Hausanschlüsse (siehe Foto).
Die kleinen Bruchsteinkanäle dieser Ära wurden dann in der Mitte des 16. Jahrhunderts durch technisch aufwendigere und dauerhafte Kanäle aus Sandsteinblöcken abgelöst. Während diese Kanäle zur Zeit Klettes noch in größerer Zahl vorhanden waren, sind sie heute durch modernere ersetzt oder Objekte für Archäologen und Historiker.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.