Teil 10: Dresdens Kanalisation an der Schwelle zur Moderne
Nach der „kleinen Choleraepidemie“ konstituierte sich 1874 in Dresden eine „Gemischte Deputation für öffentliche Gesundheitspflege“. Sie plädierte unter dem Eindruck der Entwicklungen der sanitären Standards in anderen Städten für die allgemeine Einführung von Wasserklosetts. Dresden verfügte zu dieser Zeit über 200.000 Einwohner, aber nur 300 WCs. Dies stünde im Widerspruch zur Schönheit der Barockstadt und müsse geändert werden, so der Tenor.
Mit der alten Kanalisation war dies aber nicht ohne weiteres möglich. Die Genehmigung für den Einbau eines WCs wurde deswegen nur widerruflich und auch nur dann erteilt, wenn eine Kanalverbindung vom Haus bis zur Elbe bestand und ein Schlammfang eingebaut wurde. Die stoffliche Belastung des Flusses blieb somit weiterhin hoch.
Wohl die Hälfte des Fäkalienaufkommens gelangte in den Fluss. Ungeachtet der Vorteile von WCs blieben beim Stadtbezirksarzt Zweifel, ob man sich nicht im Seuchenfall bereits mit der Zulassung der Ableitung der flüssigen Phase die Möglichkeit einer Desinfektion vergäbe und somit WCs generell abzulehnen wären.
WCs setzen sich durch
Jedoch hatten sich längst die Annehmlichkeiten von WCs herumgesprochen und 1878 wurde mit einer neuen Bauordnung die nötige Rechtsgrundlage geschaffen. Noch im gleichen Jahr wurde ein erstes öffentliches Damen-WC an der Bürgerwiese fertiggestellt. Und massenhaft eingebaute WCs leisten einen nicht unerheblichen Beitrag zum Funktionieren einer Schwemmkanalisation, wie wir heute wissen. Vorher machten sich jedoch noch langwierige Verhandlungen mit der Staatsregierung erforderlich, da diese aus Rücksicht auf die unterliegenden Elbanlieger Bedenken äußerte.
„… sodass in dieser Beziehung nicht mehr viel zu thun übrig bleibt“
Derweil wurde der 10 Jahre zuvor im „Schleußensystematisierungsproject“ beschlossene Kanalnetzausbau weiter fortgesetzt. Carl Mank berichtet in einer 1878 erschienenen Festschrift des „Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“, dass zwischen 1868 und 1874 die Altstädter Gangschleusen, der Friedrichstädter Kanal und auf Neustädter Seite die Palaisschleuse bis hin zur Uferstraße errichtet wurden. Und weiter: „Hand in Hand mit diesen Neubauten wurde mit dem Umbau der alten Canäle der Altstadt vorgegangen, sodass in dieser Beziehung nicht mehr viel zu thun übrig bleibt“.
Obwohl dieses Zitat durchaus auch im engeren Wortsinne ausgelegt werden könnte, wurde es später eher als generelle Fehleinschätzung des angeblich bevorstehenden Endes des Kanalisationsausbaus gewertet. Es war aber durchaus nicht so, dass Mank die Realitäten nicht zur Kenntnis nahm. So wie er über seine Wirkungszeit die Ideen zum Kanalbau weiterentwickelte (siehe Teil 5), so veränderte sich (natürlich auch unter dem Eindruck der kommunalpolitischen Diskussion) auch seine Meinung zum veralteten Tonnenabfuhrsystem.
Ihm wurde Ende der 1870er Jahre klar, dass er nicht nachhaltige Entscheidungen auf den Weg gebracht hatte. Markantes Beispiel dafür ist der 1888 errichtete, noch unter Mank geplante neue Südvorstadtkanal, der die nur 20 Jahre vorher erbaute, zu klein geratene Gangschleuse auf der Prager Straße hydraulisch entlastete und im Übrigen auch heutigen Anforderungen noch gerecht wird (siehe Foto).
Im Jahre 1880 legte Mank den Entwurf für ein Abwassersystem vor, welches im Kern die Tonnenabfuhr ablösen, aber auch eine Abwasserreinigung vor Einleitung in die Elbe und eine Düngerrückgewinnung ermöglichen sollte. 1884 wurde die Idee aufgegriffen. Die Bevölkerungsprognose wies auf ein starkes Wachstum hin und lautete auf 688.000 Einwohner. Mank und seine Mitarbeiter Landgraf, Schneider und Seifert bewerteten zunächst die bisher in Europa angewendeten Entwässerungssysteme.
Als Konklusion wird für Dresden das „Projekt einer Ableitung der menschlichen Auswurfstoffe mittels eines dazu nach neuem von ihm erfundenen System zu erbauenden besonderen Kanalnetzes“, bezeichnet als „Mank’s Einrichtung“, vorgeschlagen. Es wurde eines seiner letzten Projekte und erschien posthum im Jahre 1889.
„Mank’s Einrichtung“
Mank plädiert für den Umbau aller Dresdner Abtrittanlagen zu WCs. Die Klosettstoffe jedes Hauses sollen über Fallröhren zunächst in Sammelbehälter geleitet werden, deren Ablauf mit Ventilen verschlossen sind. „Zu einer festgesetzten Tagesstunde werden alltäglich und gleichzeitig sämtliche Ventile vermittelst einer in Tätigkeit gesetzten Hochdruckwasserleitung geöffnet und nach erfolgter Entleerung dieser Gefäße in Straßenklosetkanalanlage wieder gleichzeitig geschlossen“. Grund für diese aus heutiger Sicht ungewöhnliche technische Lösung war die Sorge um Ablagerungen in den „Klosettkanälen“. Mank wollte zudem im Falle von Epidemien die Möglichkeit der hausweisen Desinfektion der Abwässer erhalten und ging damit auf die stadtinternen Kritiker des Schwemmsystems zu. Das vorgeschlagene Klosettkanalsystem mit einer Länge von 247 Kilometer wäre neben dem bisher bestehenden Kanalnetz zu errichten gewesen. Regenwasser, aber auch die als durchaus gewässerverträglich eingestuften Küchenwässer sollen dem Klosettkanalsystem fern gehalten werden. Zum einen hatte man an Kanalausmündungen Fische beobachtet, die gern Speisereste fraßen, zum anderen vermied man dadurch, dass der auf 79 Prozent quantifizierte Scheuersandanteil im Schleusenschlamm Probleme in den gering dimensionierten Klosettkanälen bereiten könnte. Die Küchenwässer sollten aber auch im bestehenden Kanalnetz in Trockenzeiten für stetigen Abfluss sorgen – es fällt dem heutigen Leser sicher schwer, hierin ein logisches Konstrukt zu erkennen. 130 Jahre später wissen wir auch, dass es einen Irrweg bedeutet hätte.
Fünf Pumpstationen und zwei Kläranlagen
Die Wässer der Haupt-Klosettkanäle beider Elbseiten hätten jeweils mit insgesamt fünf Pumpstationen gehoben werden müssen. Endpunkte sollten Kläranlagen sein, die linkselbisch im Großen Gehege und rechtselbisch an der Flurgrenze zu Pieschen angeordnet werden sollten. Dort würde neben der Abwasserreinigung auch die Düngerrückgewinnung erfolgen. Zur Behandlungstechnik sollten Sammelbehälter, Dampfmaschinen und Trocknungseinrichtungen gehören. Die Gesamtkosten des Projektes bezifferte Mank auf 6,4 Millionen Mark. Jeder Grundstückseigentümer könne mit 15 Mark pro Frontmeter zur Finanzierung herangezogen werden, schlug Mank vor. Zur Ausführung gelangte das Projekt nicht mehr. 1888 starb Carl Mank. Sein Nachfolger Hermann Klette begründete bald darauf eine neue Ära der Stadtentwässerung in Dresden.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.