Teil 20: Elegante Zugänge zur Kanalisation
Können Bauwerke der Kanalisation schön sein? Um das Jahr 1900 herum hatte man dazu wohl eine klare Meinung: Sie sollten es, zumindest die oberirdischen Teile, die auch das Stadtbild beeinflussen. Da es seinerzeit noch keine Pumpwerke oder Regenbecken gab, die Hochbauteile erforderten, beschränkte man sich auf Wendeltreppeneinstiege – Zugänge zu darunter liegenden begehbaren Kanälen. Und so entstanden – beeinflusst vom damals modischen Jugendstil – zwischen der Altstadt und Striesen baugleich aus Holz einige schöne, kupfergedeckte Einstiegstürmchen.
Das Dresdner Kanalnetz verfügte damals über 21 Treppeneinstiege. Ein Teil der Treppen waren Wendeltreppen. Wie viele davon zusätzlich mit Einstiegstürmchen ausgestattet waren, ist nicht dokumentiert. Über Fotos bzw. Zeichnungen können sieben bis acht Stück ihrer Art als nachgewiesen gelten.
Multifunktionalität
Die Türmchen bestanden aus einem Sockel, einem achteckigen Aufbau und einer Dachhaube. Über eine schmale Tür gelangte man zur Wendeltreppe. Das Hantieren mit den teilweise sperrigen Kanalbetriebsutensilien, wie z. B. den Schilden für die Stauwagen, war dabei sicher nicht immer problemlos, aber das aufwändige Öffnen einer Schachtabdeckung entfiel. Neben dem Kanalzugang hatten die Türmchen noch weitere Funktionen. Zum einen erzeugten sie mit den unter dem Dach befindlichen Öffnungen eine Kaminwirkung und bewirkten somit eine Be- bzw. Entlüftung des darunter befindlichen Kanalabschnittes. Zum anderen befanden sich auf den Dächern Auffangschalen zur Sammlung von Niederschlägen, die danach ausgelitert werden konnten. Vermutlich waren diese ab 1901 in Betrieb, wurden dann aber wohl bald durch die Verfügbarkeit der technisch deutlich besseren Regenschreiber (siehe Teil 18) funktionslos.
Verfall und Verluste
Wenn Holz der Witterung bzw. Kanalatmosphäre ausgesetzt wird, ist ihm von vornherein kein ewiges Leben beschieden. Und so nagte der Zahn der Zeit an den Einstiegstürmchen. Ein Teil fiel vermutlich auch den Bombenangriffen 1945 zum Opfer. Ein Türmchen überstand im Schlosshof die Zeiten und wurde nach dem Bau des Semperoper Funktionsgebäudes (1985) auf den in diesem Zusammenhang umverlegten Zugang zum Regenüberlauf und Hochwasserschieber „Semperoper“ aufgesetzt. Im Jahr 2012 hatte sich sein Zustand so verschlechtert, dass entschieden wurde, es unter Wiederverwendung der noch weitestgehend intakten Dachschale durch eine Replik zu ersetzen.
Handwerkliche Herausforderungen
Die Stadtentwässerung Dresden GmbH ist in der komfortablen Lage, über eine eigene Tischlerei zu verfügen. Und so lag es nahe, die Aufgabe des Turm-Nachbaus an Jörg Eichler, einen gelernten Modelltischler, heranzutragen. Eichler und sein Meister Dirk Richter nahmen die Herausforderung an. Alte Konstruktionszeichnungen lagen nicht vor, und so mussten alle Maße vom Original abgenommen und in Skizzen übertragen werden – wegen vieler schwungvoller Jugendstilelemente keine triviale Aufgabe! Um den zeitlichen Aufwand zu begrenzen, wurden einige Bauteile in einer CNC-Fräserei in Auftrag gegeben. In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, ob noch weitere Türmchen nachgebaut werden sollten, denn der Aufwand für die Programmierung der CNC-Maschinen ist hoch.
Und so wurde entschieden, gleich noch einen zweiten Turm zu bauen, der den Bönischplatz zieren sollte. Planung, Materialbeschaffung, Holzbearbeitung und Montage zogen sich dann über fast drei Jahre hin, schließlich gab es auch keinen Grund zur Eile. Für die Dachdeckung zeichnete sich die Firma Pawlak aus Radebeul verantwortlich. Das Betonfundament wurde von den Kollegen des Meisterbereichs Bau hergestellt. Ein eingebauter Filter verhindert Kanalgerüche und schützt das Holz vor Daueraerosolbelastung.
Am Vormittag des 13. Juli 2015 war es dann soweit: Die Aufstellung des auf einem Tieflader antransportierten Türmchens konnte beginnen. Zum Schluss erfolgte noch die Montage der Dachschale. Seitdem verschönert das Bauwerk den Bönischplatz. Zusammen mit dem Türmchen hinter der Semperoper verkörpern beide – für alle sichtbar – ein Stück Kanalnetzgeschichte.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.