Teil 21: Leuben
Nach der Reichsgründung im Jahre 1871 stiegen in den (noch) selbstständigen Dresdner Vororten die Einwohnerzahlen stark an. Das Dorf Leuben wuchs von 365 Einwohnern auf 3.472 im Jahr 1900. Die Eröffnung zahlreicher Fabriken, vor allem auch im benachbarten Niedersedlitz, hatte einen großen Arbeitskräfte- und Wohnungsbedarf zur Folge. Leuben wurde Teil eines sich entwickelnden großstädtischen Ballungsraums, für den gemarkungsübergreifende Bebauungspläne aufgestellt wurden. Felder und Gärtnereien wurden zu neuen Straßen und Baugrundstücken.
Wassertechnische Infrastruktur entsteht
Zur Sicherstellung der Wasserversorgung schlossen sich Leuben mit Niedersedlitz und Lockwitz im Jahr 1900 zu einem Wasserwerksverband zusammen. Ein Jahr später wurde das Trinkwassernetz von einer Freiberger Baufirma errichtet.
Auch für die Abwasserentsorgung wurden in einer Satzung vom 7. März 1901 Regelungen fixiert. Zunächst blieb es übergangsweise noch bei Trockentoiletten, aber die Planungen für ein modernes Abwassersystem begannen. Nachdem eine direkte Schmutzwasserableitung in die Elbe verworfen wurde, stellte man Überlegungen zur Errichtung einer Kläranlage an. Als Standort für selbige war eine hochwassersichere Erhebung am Rand des alten Elbarms an der Flurgrenze zu Laubegast und Kleinzschachwitz ausgewählt worden.
Die Entwässerung des Leubener Gemeindegebietes sollte im Mischsystem erfolgen. Der Hauptsammler wurde entlang der verlängerten Kastanienstraße konzipiert, aber erst 1913 zusammen mit der Ortskanalisation aus Ortbeton bzw. Betonfertigteilen errichtet. Der damals parallel zur Hautsammlertrasse existierende, zum Lockwitzbach führende Graben wurde verrohrt. Die 1912 vorgelegte Planung und folgende Bauleitung für diesen als Maulprofil ausgebildeten Vorflutkanal inklusive Regenüberfall und Hochwasserschieber lagen in den Händen von G. Windschild aus Cossebaude.
Klärtechnik anno 1910
Windschilds „Technisches Bureau für Tiefbau“ war auch Teilnehmer des 1910 durchgeführten Wettbewerbs um den besten Entwurf für eine 6.000-EW-Kläranlage. Er hatte fünf Konkurrenten, die verschiedenartige Klärtechnologien vorschlugen Als siegreich erwies sich Heinrich Schevens Emscherbrunnen-Entwurf, ein 1905 erstmals umgesetzter Kläranlagentyp. Der Pionier der deutschen Abwasserwirtschaft, Dr.-Ing. Karl Imhoff (1876–1965), hatte sich die innovative, bahnbrechende Konstruktion, die Absetz- und Faulprozesse in einem Bauwerk zusammenführte, 1906 patentieren lassen und in Anlehnung an seinen damaligen Arbeitgeber, die Emschergenossenschaft, „Emscherbrunnen“ genannt. Firma Scheven hatte 1907 mit Imhoff einen Lizenzvertrag über das Patent abgeschlossen und baute nach diesem Verfahren über 100 Klärwerke, die Leubener Anlage unter Leitung von Friedrich Scheven (1865– 1934).
Die Entscheidung für einen Emscherbrunnen fiel vermutlich deswegen, weil der Entwurf die modernste Technologie verkörperte, ohne Abwasserpumpwerk auskam und um weitere Brunnen sowie eine biologische Reinigungsstufe erweiterbar war. 1912 erfolgte die mit Windschilds Kanalplanung abgestimmte Ausführungsplanung der Kläranlage und eines Betriebsgebäudes. Zur Kläranlage gehörten ein Regenüberlaufbauwerk, Zu- und Ablaufkanal DN 800 mit Schiebern, Rechen, Sandfang, der eigentliche Emscherbrunnen und ein Schlammtrockenbeet. 1913 erfolgte die Inbetriebnahme. Noch im selben Jahr gab es schon Planungen zur Erweiterung der Anlage um einen zweiten, größeren Emscherbrunnen, der allerdings erst 1925/26 ausgeführt wurde.
Am 1. April 1921 wurde Leuben nach Dresden eingemeindet, anders als zum Beispiel in Blasewitz weitgehend ohne Proteste. 1931 war der Bau des Altstädter Abfangkanals bis nach Laubegast vorangekommen. Leuben wurde an das zentrale Dresdner Abwassernetz angeschlossen und die Kläranlage nach 18 Betriebsjahren stillgelegt. Zu diesem Zeitpunkt waren schon weitere Gebiete, insbesondere auch die bis 1950 selbstständige Gemeinde Zschachwitz, für die 1910 ebenfalls Planungen für den Bau einer eigenen Kläranlage durchgeführt wurden, an den Leubener Hauptsammler angeschlossen worden. Zur Abrechnung der übergeleiteten Abwassermengen existierten „Wasserstandsfernmeldeschächte“.
Nach dem Aus für die Kläranlage wurden Sandfang und Emscherbrunnen mit Müll verfüllt, das Gelände planiert und einer Gartenanlage zugeschlagen. Ein Teil des Grundstücks mit dem später zum Wohnhaus erweiterten Betriebsgebäude wurde abgetrennt. Das Gebäude existiert noch heute. Ein Bewohner dieses Häuschens war der Sozialdemokrat Berthold Haupt, der – 27-jährig – im Jahre 1933 auf einer antifaschistischen Demonstration von der Polizei angeschossen wurde und kurze Zeit später seinen Verletzungen erlag. Im Gedenken an ihn war die nach Kleinzschachwitz führende Königs-Allee 1945 in Berthold-Haupt-Straße umbenannt worden.
Das Grundstück der ehemaligen Kläranlage erwachte 1993/94 als Standort für das Abflusssteuerungsorgan „Drehbogen“ zu neuem Leben.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.