Teil 22: Kanalreinigung um 1910/20
Jahrhundertelang stellte die Reinigung der Abwasserschleusen die Städte vor große, teils unlösbare Probleme. Manche der aufwendigen Schleusenbauten – industriell gefertigte Rohre gab es in Dresden erst ab den 1870er Jahren – mussten wegen Verschlammung aufgegeben und durch Neubauten ersetzt werden. Schleusenreinigung war schwere Handarbeit mit einfachen Gerätschaften. Vor diesem Hintergrund muss auch die 1890 begonnene Planung der neuen Kanalisation gesehen werden. Die technischen Fortschritte der Industrialisierung sollten nicht nur den Kanalbau revolutionieren, sondern auch den Kanalbetrieb beherrschbarer gestalten.
Hydromechanik in der Praxis
In Bezug auf Kanalablagerungen sind mehrere Aspekte maßgebend: auf der einen Seite das hydraulisch vorteilhafte Design der Kanalprofile, ausreichendes Gefälle und eine geringe Wandungsrauhigkeit, wodurch die Ablagerungsneigung passiv minimiert wird. Auf der anderen Seite stehen Vorrichtungen zur aktiven Entfernung unvermeidlicher Sedimente. Die von Herrmann Klette (1847-1909) entworfenen, haubenförmigen Großkanalprofile sind auch unter diesem Aspekt entstanden. Für kleinere Kanalprofile hatte Sir Joseph William Bazalgette (1819– 1891) bereits in den 1840er Jahren eine geniale Lösung gefunden – das Eiprofil. Klette adaptierte diese Lösung für die Dresdner Großprofile. Am Ende standen Sohlen mit Trockenwetterrinnen für die Hauptsammler der Teileinzugsgebiete und flach gewölbte Sohlen für die Abfangkanäle, jeweils einheitlichen Konstruktionsstandards folgend. Letztere waren die Grundlage für eine in Fließrichtung durchgängige Reinigungstechnologie – die „Stauwagen“, welche sowohl für Eiprofile, Profile mit Trockenwetterrinne und Abfangkanäle konstruiert und gefertigt wurden. Diese nachhaltige Technologie hat sich bis heute bewährt.
Stauwagen zur Großprofilreinigung
Ein in einen Kanal eingebrachter „Reinigungswagen“ (Klettes Bezeichnung) entfaltet seine Wirkung dadurch, dass der mittels Stautafel hinter dem Wagen erzeugte Aufstau des Wassers zum Aufwirbeln der vor dem Wagen liegenden Sedimente, die dann in Fließrichtung weggespült werden, genutzt wird (Abb. 1). Die Reinigungsgeschwindigkeit hängt u. a. von der Mächtigkeit und Festigkeit der Ablagerungen ab. Wird der zusammengespülte Ablagerungsberg zu groß, muss er aus dem Kanal entnommen werden – früher reine Handarbeit, heute durch den Einsatz leistungsfähiger Saugtechnik deutlich vereinfacht.
Das Einbringen und die Entnahme der bis auf ein Grundgerüst demontierbaren Stauwagen erfolgte und erfolgt, je nach Kanalgröße, über Schächte und Sonderbauwerke. Einige Bauwerke heißen bis zum heutigen Tag „Kahnkammer“, denn sie dienten ursprünglich dem Parken von Inspektions- und Reinigungskähnen oberhalb des Abwasserflusses. Zu diesem Zweck verfügten sie über Vorrichtungen wie Hebezeuge und Winden. Die Kähne konnten damit herausgehoben und auch aus den stromabwärts gelegenen Haltungen zurückgezogen werden. Klette schreibt dazu im Jahre 1907, dass „von trockener Stelle aus den nötigen Hantierungen“ vorgenommen werden konnten. Da der Reinigungserfolg aber wohl nicht optimal war, wurden sie bald durch die besser funktionierenden Stauwagen abgelöst. Die Kahnkammern wurden fortan besonders für den Wechsel der Stautafeln der Stauwagen, auch „Scheiben“ genannt, benutzt.
Gerätschaften für die Reinigung kleinerer Kanäle
Auch die Reinigung kleinerer und mittelgroßer Kanäle wurde unter Nutzung der Energie des aufgestauten Wassers durchgeführt. Im bekriechbaren Profilspektrum wurden Stautür-Armaturen verwendet, die Wasser aufstauten und nach ihrer abrupten Öffnung eine Spülwelle erzeugten (Abb. 2). Reichte der Trockenwetterabfluss nicht aus, wurde mit Trinkwasser gespült. Viele Schächte, insbesondere solche an Kanalkreuzungen, hatten entsprechende Anschlüsse an das Trinkwassernetz, über welche allwöchentlich Wasser in den zu diesem Zeitpunkt mit Steckschiebern abgeriegelten Schacht geleitet wurde. Das Ziehen der Schieber sorgte für den Spülschwall (siehe Abb. 3). Die Basis für diese Schwallspülverfahren bildete eine zweimal jährlich durchgeführte Grundreinigung mit auf Rollen laufenden Schilden. „Sie werden durch die Schächte eingebracht und man lässt sie dann am Seil von einem Schacht zum anderen laufen, wobei als treibende Kraft in der Regel das in den Kanälen bewegte Wasser dient“, schreibt Klette (Abb. 4 und 5). Erwähnt seien auch noch verschiedene Versuche, Dükerreinigungen mittels Holzes oder Eiskugeln durchzuführen. Für den Loschwitzer Düker wurden die Eiskugeln im Kühlhaus an der Weißeritzstraße hergestellt. Für die großen Dükerrohre am Flügelweg wurde eine sogenannte „Spinne“ verwendet, eine Eigenkonstruktion aus zwei Stauscheiben mit dazwischen befindlichem Gerüst, die bei einem eventuellen Hängenbleiben in ihre Einzelteile zerfiel. Bei Verstopfungen war Muskelkraft gefragt und das „Stoßzeug“ aus zusammenschraubbaren Bambusstangen mit Metallspitze kam zum Einsatz. Zudem gab es weitere Gerätschaften zur Beseitigung von Verstopfungen oder Verwurzelungen, jeweils mit Handwinde angetrieben. Im ersten Arbeitsschritt galt es jeweils, möglichst durch Einschwimmen eine Leine einzubringen, mit der danach das Zugseil für das Reinigungsgerät eingezogen wurde.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.