Teil 2: Die Kanalisation der Festungsstadt
Im Spätmittelalter war Dresden von einer Stadtmauer samt Stadtgraben umgeben. Im 16. Jahrhundert wurde diese Verteidigungsanlage zu einer Festung ausgebaut und in den folgenden zwei Jahrhunderten immer wieder den aktuellen militärischen Anforderungen angepasst. Das städtische Leben spielte sich in der Enge dieser Mauern ab. Trotz vieler Unzulänglichkeiten der damaligen Zeit machte aber der technische Fortschritt auch vor der renaissancezeitlichen Stadt nicht halt.
Ergänzend zum Wasser aus Hausbrunnen wurde neben dem Kaitzbach auch „Röhrwasser“ aus verschiedenen Quellen der Stadt zugeleitet, die beste Wasserqualität vom Heiligen Born freilich nur für den Fürstenhof. Getrübt wurde das Bild von Abfall- und Abortgruben, welche sich in den Hinterhöfen oft in unmittelbarer Nähe der Trinkwasserbrunnen befanden und deren Wasserqualität minderten. Diese verhängnisvolle Interaktion wurde allerdings erst Mitte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich belegt. Für die Abfuhr der Grubeninhalte galten festgeschriebene Regeln der Stadtobrigkeit, denn die Grubeninhalte stellten einen unverzichtbaren Wertstoff dar und wurden als Düngemittel eingesetzt.
Indessen waren auch gepflasterte Straßen in Dresden vereinzelt schon vor dem 15. Jahrhundert vorhanden. Im Zuge der Straßenpflasterung erfolgte ab dem Jahre 1559 auch der Bau von Kanalisationen, damals als „Schleußen“ bezeichnet. Dies führte zu deutlich besser passierbaren Straßen und bewirkte eine Verbesserung der Lebensqualität. Die offenen Rinnensysteme der mittelalterlichen Straßen wurden durch an den Straßenrändern liegende Traufsteine (zur Aufnahme der Dachwässer) oder mittig liegende, flache, teilweise mit Holzbohlen abgedeckte Rechteckgerinne ersetzt. Die Traufsteine wiesen etwa 20 cm Breite und 20 cm Tiefe auf.
Als Vorflut dienten Elbe, Kaitzbach und an vier, heute nicht mehr gänzlich nachvollziehbaren Stellen, der die Stadt umgebende Festungsgraben. Die Wilsdruffer Vorstadt verfügte zudem über den Weißeritzmühlgraben. Der Kaitzbach war von zentraler Bedeutung – er war Brauch- und Löschwasserlieferant, Abwasserkanal und Vorfluter zugleich.
Schleusenbau und -betrieb
Anfangs kam der Schleusenbau offenbar nicht zügig genug voran. So forderte im Jahr 1620 ein kurfürstlicher Befehl den Stadtrat auf, dafür zu sorgen, dass die angefangene Schleuse in der Kleinen Brüdergasse endlich fertiggestellt werden solle. Sie wies eine Höhe von 2 ½ Ellen (1,42 m) auf.
Als Baumaterial kam fast durchweg das „in Dresden ziemlich wohlfeile und vortreffliche Sandsteinmaterial“ zum Einsatz. Sohlauskleidungen erfolgten z. T. auch mit Pflastersteinen. Es gab unterschiedliche Kanalgrößen, die eins gemeinsam hatten: flache Sohlen. Bauherrenschaft und Unterhaltspflicht der Schleusen waren nicht einheitlich geregelt. Dort, wo viel Abwasser beseitigt werden musste, agierte die Stadt, andernorts überließ man den Schleusenbau den nicht immer finanzkräftigen Anliegern.
Unter Strafe war es verboten, Grobstoffe wie Fäkalien oder auch Kehricht einzuleiten. Aus gutem Grund, denn Sinkstoffe bilden Ablagerungen, Ablagerungen faulten, verpesteten die Luft und mussten deswegen vermieden bzw. beseitigt werden. Dies bereitete mit den damaligen technischen Möglichkeiten einen großen Aufwand. Aus dem Jahr 1635 sind diesbezüglich Abrechnungen von Peter Bäume erhalten. Er übte die Tätigkeit eines Schleusenfegers aus, der Abortanlagen und Schleusen auf dem Festungsgelände inspizierte und renovierte.
Noch im Jahre 1878 schildert Karl Mank diesen Aufwand so, dass kleinere Schleusen bis 1,20 m Höhe zweimal pro Woche per Schwallspülung und zweimal jährlich durch Ausbürsten gereinigt werden müssten. Dessen ungeachtet bereitete das in den Schleusen teilweise stagnierende Abwasser bald Ärgernisse. In den Sommern wurde über Geruchsprobleme und Gesundheitsgefahren geklagt. In den Wintern froren die Abdeckungen ein und das Kaitzbachwasser stand zu Löschzwecken nicht zur Verfügung.
Während die offenen Gerinne durch Hausanrainer und Regenabflüsse regelmäßig gereinigt wurden, waren die geschlossenen Schleusen oftmals verstopft. Auch mussten die Hartholzabdeckungen regelmäßig erneuert werden, was in Folge einer Teuerung nicht immer leicht zu finanzieren war. So kam der Schleusenbau für einige Zeit zum Erliegen. Erst nach einem Befehl des Kurfürsten Johann Georg IV. wurde er nach 1693 unter Leitung des kurfürstlichen Landbaumeisters wieder aufgenommen.
Für den Unterhalt der Schleusen sorgte fortan die Stadt. Anfang des 18. Jahrhundert erfolgten schließlich erste Schleusenbauten auch in Hauptstraßen Altendresdens, das 1549 eingemeindet worden war (die heutige Innere Neustadt) und in den Vorstädten.
Ältester Abwasserkanal
Der wohl älteste, sich noch in Funktion befindende Kanal Dresdens stammt vermutlich aus der Zeit zwischen 1739 und 1755. Er befindet sich vor dem Semperbau auf dem Theaterplatz, ist 140 cm hoch, 53 cm breit und aus großen Sandsteinquadern gefertigt. In den Kanal münden mehrere, ebenfalls sandsteinerne Seitenkanäle mit quadratischem Querschnitt.
Es ist anzunehmen, dass dieses Kanalsystem der Entwässerung des damals an dieser Stelle befindlichen „italienischen Dörfchens“, mit Werkstätten, Unterkünften und Schenken der aus diesem Land stammenden Erbauer der Hofkirche, diente. Auch das alte Morettische Opernhaus wurde darüber entwässert. Vielleicht hat gar der berühmte Gaetano Chiaveri neben der Hofkirche diesen Kanal geplant? Heute jedenfalls fließt darin das Oberflächenwasser des Theaterplatzes ab. Die Gründe dafür, dass bis auf wenige Ausnahmen keine Schleusen aus der Zeit vor 1800 mehr erhalten oder gar in Betrieb sind, fasste Karl Mank 1865 etwa wie folgt zusammen: Sie waren wegen ihrer schlechten Bauweise baufällig und undicht, lagen zu flach und hatten zu geringes bzw. unregelmäßiges Gefälle, sodass neue Baugebiete an sie nicht mehr angeschlossen werden konnten. Zudem waren sie alsbald von anderen Medien wie Telegrafenkabel, Gas- und Wasserleitungen durchzogen.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.