Teil 3: Die Schleusenbauten in der Altstadt zwischen 1810 und 1865
Nachdem die Stadtbefestigung in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihren militärischen Wert verloren hatte, wurde Dresden zu Beginn des 19. Jahrhunderts „entfestigt“. Eva Papke berichtet in ihrem Buch „Festung Dresden“, dass bereits 1763 entsprechende Pläne existierten. Schon der damals damit beauftragte Oberlandbaumeister Julius Heinrich Schwarze wies auf ein Problem bei der Demolierung der Festungsanlagen hin: die in den Stadtgraben mündenden vier Schleusen zur Abführung der „Tage- und Röhrwasser“.
Sie müssten alle überwölbt und in eine moderne neue Schleuse geführt werden. Die äußere Festungsmauer könne kostensparend die eine Seite der Schleuse bilden. Die Pläne wurden aber aus Kostengründen zunächst aufgeschoben. Das Abtragen der Befestigungsanlagen begann dann im Jahr 1809 unter Leitung von Oberst Backstroh, Kommandant des Ingenieur-Korps und Direktor des Militärbauamtes. Während die Rückbaumaßnahmen in der Neustadt schnell vorangingen, kam es in der Altstadt im April 1812 zu einer Einstellung der Arbeiten.
Die Wiederaufnahme erfolgte erst im Jahre 1817, also nach dem Ende der napoleonischen Kriege und der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress. Nunmehr organisiert durch eine „Demolitionskommission“ unter Mitwirkung des königlichen Hofbaumeisters Gottlob Friedrich Thormeyer wurde die Entfestigung um 1829/1830 abgeschlossen.
Die Wallgrabenschleuse
Neben der Schleuse „Am See“ entstand in dieser Zeit auch die „Wallgrabenschleuse“ entlang der heutigen St. Petersburger Straße. Karl Mank schreibt, dass diese 1818 von dem aus der alten Festungsmauer gewonnenen Steinmaterial hergestellt worden sei.
Darstellungen des verfüllten Festungsgrabens sprechen aber eher dafür, dass ihr Bau bereits um 1810 erfolgt war. Mank berichtet weiter, dass sie gebaut wurde, „um den verschütteten, aber noch stark mit Wasser durchdrungenen Stadtgraben trocken zu legen… Wir glauben in der Behauptung nicht zu irren, daß in diese … Abtritte ihre Entleerung finden und bemerken, daß das bei Ausfüllung des Gondelhafens (1853) bis zur Elbe gebaute Stück Schleuße einen viel kleineren Querschnitt erhalten hat, als deren älterer Theil“ – ein kleiner Vorgeschmack auf den bald folgenden Streit um die Einführung einer Schwemmkanalisation.
Auch wenn Karl Mank für das von ihm ab 1865 konzipierte Kanalnetz für die Wallgrabenschleuse keine herausgehobene Bedeutung vorsah, so sind ihre Tiefenlage, Dimensionierung und solide Bauweise wohl der Grund dafür, dass sie noch bis heute erhalten und in Betrieb ist. Hermann Klette bezog sie in sein Kanalisationskonzept ein und ließ ihre Sohle 1902/03 neu profilieren. Seit 2001 dient sie dem Kaitzbach als unterirdisches Bett und für die für 2017 geplante Errichtung eines Bauwerks für die Dresdner Kanalnetzsteuerung am Rathenauplatz soll der altehrwürdige Kanal noch einmal besondere Bedeutung erlangen und der Umleitung größerer Mischwasserabflüsse dienen.
Die industrielle Revolution erreicht die Residenzstadt
Anfang des 19. Jahrhunderts brach auf technischem, wissenschaftlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet eine neue Ära an. Die Stadt wuchs wie noch nie zuvor. Schon seit 1769 arbeitete in der Friedrichstadt eine erste Dampfmaschine. 1828 wurde die Technische Bildungsanstalt, Vorläufer der TU Dresden, gegründet. Blochmanns Gaswerk brachte im gleichen Jahr die Kandelaber auf dem Theaterplatz zum Leuchten.
1834 kam Gottfried Semper nach Dresden, 1837 dampfte die „Königin Maria“ auf der Elbe und ab 1839 reiste man hurtig per Bahn nach Leipzig. Die bislang kleinstädtisch geprägten Vorstädte wuchsen schnell. Postplatz und Pirnaischer Platz entstanden. Eine Vielzahl von Wasserversorgungsunternehmen war bemüht, den steigenden Wasserverbrauch zu decken. Neben ausgebohrten Baumstämmen und Bleileitungen kamen auch sandsteinerne Wasserleitungen zum Einsatz, ebenfalls von Sigismund Blochmann entwickelt.
Die Stadtverwaltung hatte Mühe, sich von ihrem „Kleinstädtertum“ zu lösen und sich den Erfordernissen der neuen Zeit anzupassen. Der „Dresdner Anzeiger“ berichtet im Jahre 1837, dass sich bei starkem Regen „ganze Ströme über den Häuptern der Vorübergehenden“ entluden. Neue Trottoirs aus Sandstein oder dem für Dresden typischen Granit und Schleusenneubauten in den Vorstädten sorgten aber alsbald für trockene Füße. 1830 wurde z. B. der zum Weißeritzmühlgraben führende, geruchsintensive „Entenpfützenkanal“ am Freiberger Platz von einer Straßenschleuse abgelöst.
Eine Vielzahl weiterer Kanalneubauten in den ehemaligen Vorstädten folgte. Die alte Kanalisation im Stadtzentrum musste freilich ihren Dienst noch ein paar Jahrzehnte unverändert versehen. Einer der ältesten Anträge mit Entwässerungsplanung stammt aus dem Jahre 1857. In einem Schreiben an den Stadtrat Dr. Edmund Peschel, Direktor der Dresdner „Baupolizeiexpedition“, beantragt der Antragsteller, dass der Neubau in seinem Grundstück Ecke Dippoldiswalder Gasse und der verlängerten Reitbahngasse in notwendiger Weise eine Brunnen- und Küchenholzschleuße bedinge, welche wegen der Verzögerung des Schleusenbaus in der Dippoldiswalder Gasse nunmehr in die Kleine Reitbahngasse geführt werden solle.
Dem Antrag wurde stattgegeben. 1867 konstatiert Karl Mank, dass es „in der Altstadt überhaupt nur wenig tiefe, zur Entwässerung umfänglicher Terrains geeignete Schleußen“ gibt. „Eine solche führt von der großen Oberseergasse über den Dippoldiswalder Platz nach der Straße „Am See“ und nach der Kreuzung der Annen- und resp. Zwingerstraße in den Weißeritzmühlgraben“. (Sie wurde vermutlich zwischen 1888 und 1902 beim Kanalneubau der neuen Südvorstadtschleuse und deren Zubringer wieder beseitigt.)
Ein zweiter Hauptkanal „ist von der Parkstraße aus unter der Bürgerwiese und der Langen Straße im Jahre 1863 neu erbaut…“. Teile dieses ehemals bedeutsamen Kanals, der zwischen seiner Inbetriebnahme und dem Bau des Strehlener Flutkanals am Lennéplatz im Jahre 1893 zur Ableitung des Kaitzbaches zur Elbe diente, sind heute noch vorhanden.
Mitte des 19. Jh. spitzten sich die stadthygienischen Probleme Dresdens – nicht zuletzt durch die 1854–56 aufgetretene „Kellerwasserplage“ – so zu, dass die Stadtoberen nach neuen Lösungen suchen mussten. Die Schlussfolgerungen aus The Great Stink im London des Jahres 1858 zeichneten den Weg für europäische Städte vor: den Bau von Schwemmkanalisationen.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.