Teil 6: Startschuss zur „Schleußensystematisierung“
Eines der bedeutendsten Dokumente der Geschichte des Dresdner Abwassersystems ist das 1866 verfasste und ein Jahr später in gedruckter Form erschienene „Schleußensystematisierungs-Project für Altstadt-Dresden“. Hauptautor ist Carl Mank, Mitunterzeichner dessen Vorgesetzter, Stadtbaudirektor Theodor Friedrich.
Letzterer hatte im Jahr 1863 während der Planung der Stadterweiterung südlich der Bahnstrecke nach Böhmen, welche 15 Jahre zuvor in Betrieb genommen worden war, feststellen müssen, dass „eine rationelle Entwässerung des projectirten Stadttheils ohne Herstellung einer neuen die Altstadt durchschneidenden tiefen Schleuße nicht ausführbar sei.“ Ähnliche Erkenntnisse gewann man 1865 auch in Bezug auf die Entwässerung der westlichen Stadtteile, insbesondere der Gegend um die Ammonstraße.
Die Kellerwasser-Calamität
In der jüngeren Vergangenheit war aber noch eine weitere Episode im Gedächtnis der Verantwortlichen haften geblieben: die 1854 bis 1856 in den linkselbigen Stadtteilen aufgetretene „Kellerwasser-Calamität“ bzw. „Kellerwasserplage“ – ein dramatischer Anstieg des Grundwassers. Und das zum wiederholten Mal: Schon 40 Jahre zuvor war ein solcher zu verzeichnen gewesen.
Hiptmair/Kroker/Olbrich schreiben dazu in ihrem Buch „Zwischen Wallstraße und Altmarkt – Archäologie eines Altstadtquartiers in Dresden“: „Als 1813 der (Festungs-)Graben für die Schlacht bei Dresden nach langer Zeit wieder geflutet und kurz darauf vollkommen verschüttet wurde, erhöhte sich der Grundwasserspiegel in der Altstadt um 2,5 m, da das drückende Grundwasser nicht mehr in die Elbe abgeleitet wurde. Das Ergebnis waren feuchte Grundmauern und Keller, in denen teilweise das Wasser stand, denn seit dem Bau des Grabens in der Mitte des 16. Jhs. hatte man aufgrund des abgesunkenen Wasserspiegels bedenkenlos Keller und Fundamente ohne besondere Sicherung in den Boden eingetieft… (Man) fürchtete durchaus die Folgen, denn »… es kann kommen, dass das gesunde, freundliche, von den Fremden aufgesuchte Dresden sich in eine ungesunde, verrufene und möglichst gemiedene Sumpfgegend verwandeln könnte«.
In einigen Häusern erfolgte die Anhebung des Bodenniveaus der Keller, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Das Wasser zog in den Wänden nach oben, und die Erdgeschosse der Häuser wurden feucht. Zu ergänzen ist an dieser Stelle, dass seinerzeit in Dresden eine nicht unbeträchtliche Zahl von Kellerwohnungen existierte und die Kellerbodenaufschüttungen archäologisch nachgewiesen wurden. Nun also schon wieder Gesundheitsgefahren wegen hohen Grundwassers!
1856 kommt ein Bericht des für das Dresdner Gesundheitswesen zuständigen Stadtrats F. M. Hempel zum Schluss, „daß die Kellerwasser-Calamität an vielen Stellen nicht dem sog. Grundwasser, sondern der häufig vorkommenden Undichtheit der Entwässerungsschleußen sowie vorhandenen Brüchen der sandsteinernen Wasserleitungsröhren zuzuschreiben, und daß es hohe Zeit sei, eine systematische Entwässerung der Stadt anzubahnen.“ Letztere Folgerung war sicher richtig, die von Peschel genannten Hauptgründe vermutlich aber wohl eher nicht.
Die Stadtoberen überlegten, wie diesem stadthygienischen Problem beizukommen sein könnte. Der Vorstand der „Wasserleitungs- Direction“, Stadtrat Oskar Teucher, erteilte den Auftrag zu untersuchen, „ob es nicht räthlich sei, quer durch die Mitte der Altstadt, möglichst parallel zur Elbe, eine zur Aufnahme aller unreinen Effluvien („Ausscheidungen“) geeignete Hauptader bis nach dem unterhalb der Stadt gelegenen Dorfe Briesnitz zu führen und das bis dahin geleitete Schleußenwasser vor der Abgabe in den Elbstrom zu reinigen.“ Kurzum, es gab genug gute Gründe für eine geordnete Kanalisation!
Eine bessere Kanalisation wird gebraucht!
Carl Mank und sein Team machten sich an die Arbeit, bis zur Genehmigung der Schwemmkanalisation und die erste Versuchskläranlage sollten jedoch weitere vier Jahrzehnte ins Land gehen. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze wurden verglichen. Erstens: Ein Entwässerungssystem, bei welchem mehrere Hauptkanäle direkt in die Elbe führten. Zweitens: Die von Oskar Teucher ins Gespräch gebrachte Idee eines Abfangkanals quer durch die Stadt oder entlang des Elbufers – von vornherein wohl die Vorzugsvariante.
Die Nachteile von Variante 1 lagen auf der Hand: die Verunreinigung des Flusses im Stadtgebiet, die verloren gehenden „Düngestoffe“ und der nur in wenigen Wochen im Jahr mögliche rückstaufreie Abfluss. Zunächst stellte Mank sich die Frage, worauf man aufbauen kann. Seine Beschreibung des Zustandes des damaligen Kanalnetzes lässt keinen Zweifel daran, dass die bestehenden „Schleußen“ mangelhaft waren und keine längerfristige Perspektive bildeten: zu flach verlegt, zu geringes und unregelmäßiges Gefälle bzw. Gegengefälle, ablagerungsanfällig, undicht, baufällig, nicht erweiterbar.
Den überwiegend schlechten baulichen Zustand führte er auf Alter, schlechtes Baumaterial und die Herstellung im Akkord und ohne fachliche Aufsicht zurück. Viele Schleußen mündeten zudem in den Weißeritzmühlgraben, was aus wohlfahrtspolizeilicher Rücksicht neuerdings aber verboten worden war. Mank führt in seiner Bestandsübersicht drei tief liegende Schleußen auf, die sich allerdings auch nicht ohne weiteres in das „neue System“ eingliedern lassen würden:
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den Kanal von der Oberseergasse zur Straße „Am See“ und weiter in den Weißeritzmühlgraben
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den 1863 erbauten Kanal Parkstraße – Bürgerwiese – Lange Straße – Pillnitzer Straße – Ausschiffungsplatz an der Elbe (beginnend an der heutigen Zinzendorfstraße)
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die Wallgrabenschleuße (vom heutigen Georgplatz bis zum ehem. Gondelhafen).
Die in Teil 3 der „Dresdner Kanalisationsgeschichte“ abgebildete Karte gibt ein ungefähres Bild der Situation des Dresdner Kanalnetzes um 1865.
Fehlende Planungsgrundlagen
Und noch ein weiteres Problem galt es zu lösen: Für die Planung des neuen Entwässerungssystems wie auch zur Dokumentation des Bestandes fehlte es an Lageund Höhenplänen, letzteres in Bezug auf Gelände- und Sohlhöhen der Kanäle. „Es fehlt an der Aufnahme der Altstadt zur Zeit noch der größte Theil der inneren Stadt, der gerade am nothwendigsten gebraucht wird.
Es ist voraussichtlich, daß erstens bei der geringen Anzahl der Arbeitskräfte sich die Vollendung des Grundrisses in weite Ferne verschieben wird, und daß zweitens durch die immerwährenden Veränderungen, welche die Stadt erleidet, die Menselblätter, wenn sie wirklich beisammen sind, mit der Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen… Ohne Grundriß und ohne Höhenkarte ist die Detailarbeit für die Schleußensystematisierung ein Ding der Unmöglichkeit.“ Das Vorwort zum „Schleußensystematisierungsproject“ endet mit einem Hilferuf an die Adresse der Stadtoberen. Dieser wurde erhört und bis 1873 lagen die Menselblätter quasi flächendeckend für das damalige Stadtgebiet vor.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.