Dresdner Kanalisationsgeschichte


Teil 7: Manks Kanalisationskonzept

Der Mitte des 19. Jahrhunderts unter Bauingenieuren und Hygienikern vieldiskutierte Begriff der „Schwemmkanalisation“ beinhaltet den Transport aller Abwasserbestandteile mittels der fließenden Welle. Er entstand in Abgrenzung zu den herkömmlichen Kanalisationen, die – zumindest offiziell – nur zur Ableitung der flüssigen Phase diverser Abwässer genutzt werden sollten und auf Regenwasser als Transportmedium angewiesen waren. Eine Schwemmkanalisation bedingt also ein ausreichendes Trink- bzw. Brauchwasserangebot, respektive eine auskömmliche Wasserversorgung und einen daraus resultierenden, mehr oder minder kontinuierlichen Abfluss der Abwässer.

Heute wird dieser durch WCs, Duschen, Badewannen, Waschmaschinen usw. erzeugt. Im damaligen Dresden gab es das alles noch nicht. Jeder Eimer Wasser musste in Handarbeit aus Brunnen gezogen oder von den Verteilern der Röhrwasserversorgung abgeholt werden. Um 1840 wurden der Stadt über 53 Hauptleitungen täglich ca. 10.000 m³ Wasser zugeführt, wovon etwa nur die Hälfte zum Abfluss kam. Entsprechend gering war die Schleppkraft in den Schleusen. Mit der Errichtung einer Schwemmkanalisation sollte ein ablagerungs- und rückstaufreier Abfluss erreicht werden.

Wie wichtig ein solcher ist, zeigt eine 1902 vorgelegte Untersuchung des Reichsgesundheitsrates beispielhaft an der Rückstaustatistik der Friedrichstädter Hauptschleuse: 172 Tage im Jahr war sie „in ihrem Abflusse gestört“, fast 50 Prozent eines Jahres also Stagnation, Ablagerungen, Fäulnis, Gasbildung, Hort für Keime aller Art, Gesundheitsgefahren.

Carl Mank prägt im „Schleußensystematisierungs-Project“ die Begriffe des „getheilten Adersystems“ für ein Kanalnetz mit direkt in die Elbe ausleitenden Kanälen, und des „geschlossenen Adersystems“, versehen mit einer „Hauptgangader“ (Abfangkanal), welche die Abwässer aus der Stadt leitet und einer Reinigung zuführen könnte.

Hauptader und Gangschleusen

Manks Ideen für einen Abfangkanal gingen im Jahre 1866 in zwei Richtungen: Entweder quer durch die Stadt oder entlang des Elbufers. Im Schleußensystematisierungsproject führt er für beide Varianten diverse Konstruktionsdaten aus. Mank stellt hydraulische Berechnungen an, wertet die Pegelstände der Elbe aus und plant seinen Abfangkanal so, dass dieser möglichst eine lange Zeit im Jahr frei ausmünden kann. Er macht sich über die Beseitigung der Ablagerungen Gedanken und konstruiert ein Auslaufbauwerk in Form fünf aufgefächerter Kammern, die als Schlammfänge und somit der Abwasserreinigung vor Einleitung in die Elbe dienen sollen. In den Abfangkanal sollen acht Gangschleusen V. Klasse einmünden. Mank begrenzt deren Anzahl, denn er will den baulichen Aufwand der Zusammenführungsbauwerke gering halten.

Aus hydraulischen Gründen sollen alle Einmündungen im spitzen Winkel erfolgen. Zunächst sollen drei dieser Hauptzubringer, jeweils mit Spülmöglichkeiten, entstehen bzw. vollendet werden: ƒƒ

  • Gangschleuse Nr. I mit Spülung mittels Mühlgrabenwassers an der Güterbahnhofstraße
  • Gangschleuse Nr. II (seit einigen Jahren am ehemaligen Seetor im Kunstobjekt „Trichter“ öffentlich zugänglich) mit Spülung durch die Hochplauensche Wasserröhre h III auf der Prager Straße
  • ƒƒGangschleuse Nr. III, die „bereits durch den Kaitzbach ausreichend und dauerhaft gespült“ ist

Wie auch die Schleusen der Klassen I bis IV konzipiert Mank sie als – überhöhte – Eiprofile. Später, in den 1880er Jahren wird Mank auf Regel-Ei-Querschnitte umschwenken. Einige Jahre zuvor hatte der englische Ingenieur Sir Joseph William Bazalgette (1819 – 1891) die für den Stofftransport besonders vorteilhafte Eiprofilform in den 1840er Jahren als erster angewendet. Anzumerken ist, dass während Manks Amtszeit bis 1888 durchaus auch noch andere Profilformen realisiert wurden. Für die ebenfalls eiförmig geplanten Kanäle der Klassen IV bis I sieht Mank eine Mindesttiefe von 2,27 Meter vor und die Notwendigkeit, alle 57 Meter (100 Ellen) Schlammschrote anzulegen. „Im Frühjahr und im Herbst werden die Schleußen samt ihren Abgesümpfen gereinigt und die Schleußensinkstoffe in der Nacht abgefahren“, so sein Plan.

Variantenvergleich

Das „Schleußensystematisierungsproject“ schließt mit einem Variantenvergleich, bei welchem wohl die Kostenvorteile der elbnahen Hauptader den Ausschlag für eine Empfehlung selbiger als Stadtratsbeschluss gegeben haben werden.

Hinzu kamen Vorteile wie die Möglichkeit der stufenweisen Realisierung, der Schaffung einer neuen Uferstraße verbunden mit der Aufwertung des bislang vernachlässigten Elbufers und die Erwartung einer teilweisen Kostenübernahme durch den Staat. Mank machte zudem darauf aufmerksam, dass der in der Satzung von 1856 aufgestellte Finanzierungsgrundsatz, wonach Grundstückeigentümer nach der anteiligen Grundstückslänge zur Begleichung der Kanalbaukosten herangezogen wurden, beim Abfangkanalbau nicht sachgerecht wäre und eine andere Regelung erforderlich sei.

Gebaut wurde zunächst ein Entwässerungssystem ohne Abfangkanal und Kläranlage. Erst 1875 ermöglichte das Wasserwerk Saloppe mit dem dazugehörigen Verteilsystem eine zeitgemäße Wasserversorgung. Der Altstädter Abfangkanal wurde in den Jahren 1899 – 1901 im Bereich des heutigen Stadtzentrums errichtet. 1906 nahm an der Marienbrücke die erste zentrale Dresdner Abwasserreinigungsanlage ihren Versuchsbetrieb auf. Die Schwemmkanalisation war Wirklichkeit geworden und die Verbesserung der städtischen Gesundheitsvorsorge hatte einen wichtigen Meilenstein absolviert.  

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.