Dresdner Kanalisationsgeschichte


Teil 8: Kloakengruben und Dungabfuhr versus Schwemmkanalisation

„Bei der Anlage eines so wichtigen und kostbaren Schleußensystems, …, muss unwillkührlich die Frage auftauchen, ob es nicht von Vortheil sei, den Inhalt der Kloakengruben durch die Entwässerungsschleußen fortzuschaffen und hierdurch das lästige Transportieren der Kloakenstoffe zu vermeiden.“ Dieses Zitat aus dem Anhang des 1866 erstellten „Schleußensystematisierungs- Projects“ wirkt auf den ersten Blick nur wie eine Frage nach der betrieblichen Effizienz der Fäkalienabfuhr. De facto beinhaltet es eine generelle Entscheidung für oder gegen eine Schwemmkanalisation. Es beweist, dass sich Autor Carl Mank, aber sicher auch die übrigen Dresdner Rathausbeamten und Stadträte sehr wohl der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst waren.

Typhus und Cholera

Vor dem Hintergrund neuerlicher Typhus- und Choleraepidemien wurde europaweit über die richtigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Städten des beginnenden Industriezeitalters diskutiert, teilweise sogar heftig gestritten. In Sachsen waren die beiden Seuchen um 1840 herum aufgetreten und hatten viele Tote zur Folge gehabt. Die genauen Krankheitsursachen waren noch unbekannt. Ihre meist über verunreinigtes Trinkwasser übertragenen Erreger wurden erst 1882/83 von Robert Koch entdeckt. Einige Wissenschaftler, darunter Rudolf Virchow, vermuteten diese Ursache schon länger, dessen ungeachtet vertraten renommierte Wissenschaftler wie z. B. Max von Pettenkofer weiterhin die schon in der Antike entstandene Theorie, wonach giftige Ausdünstungen des Bodens („Miasmen“) für die Weiterverbreitung dieser Krankheiten verantwortlich seien.

Die Anhänger der Miasmentheorie waren meist Gegner von WCs und Schwemmkanalisation und wollten mit luftverbessernden Ansätzen zum Ziel kommen. Insbesondere gelte es auch, den Grundwasserspiegel unter den Städten abzusenken und damit trockenen, gesünderen Lebens- bzw. Wohnraum zu schaffen. Pettenkofer hatte dies erfolgreich in München praktiziert und auf diese Weise letztlich den Choleraerregern die Vermehrungsmöglichkeiten genommen. Carl Mank versuchte also 1866 in diesem Spannungsfeld eine für sein Dresden grundsätzliche Entwässerungslösung zu finden. Er reflektierte die Entwässerungsplanungen verschiedener europäischer Städte. Vier davon, die sich für eine Schwemmkanalisation entschieden hatten, etwas ausführlicher:

Frankfurt am Main, Danzig, London und Berlin

Auch in Frankfurt/M. diskutierten Hygieniker und Ingenieure damals kontrovers über den Nutzen einer Schwemmkanalisation. Eine maßgeblich vom Mediziner Georg Varrentrapp beeinflusste Kommission, der auch William Lindley und Eduard Wiebe angehörten, entschied sich aber dann klar für die Schwemmkanalisation. Bei der Planung der Entwässerung Danzigs ließ Wiebe ebenfalls keine Zweifel an deren Vorteilhaftigkeit aufkommen. Er fertigte darüber hinaus auch erste Pläne des später von James Hobrecht für Berlin konzipierten Radialsystems.

Carl Mank und die übrigen Dresdner Verantwortlichen beeindruckte hingegen wohl am meisten die von dem Berliner Mediziner Friedrich Behrend verfasste Oppositionsschrift zu Hobrechts Kanalisationsentwurf. Darin bezieht er sich vor allem auf die damaligen katastrophalen Verhältnisse in London: den schlechten Bauzustand der Kanäle, der zur Verseuchung des Grundwassers geführt hatte, durch Gasbildung und Explosionen getötete Kanalarbeiter sowie gesunkene Immobilienwerte der an Kanalschächten liegenden Häuser. Zwar sollten in London neue, aufwändig errichtete Kanäle Abhilfe bringen, man zweifelte aber noch, ob das gelingen würde.

Zudem würden die Fäkalstoffe zu unbeherrschbaren Ablagerungen führen, die „nur durch Ausstechen zu entfernen sind“. Aus den Ablagerungen entweichende giftige Gase würden in die Häuser aufsteigen und dort die Wohnungen der Menschen verseuchen.

Dresden folgt der klassischen Theorie – ins Abseits

Mank schloss sich den Zweiflern und Verfechtern der Miasmentheorie an. Er stellte die vermeintlichen Nachteile der Schwemmkanalisation ins Zentrum seiner Argumentation.

Zudem verklärte er die damalige Situation der Dresdner Trinkwasserversorgung: „Durch die Anlage von Kloakensystemen hat eine Stadt nicht mehr wie früher einzelne Orte, die die Auswurfstoffe der Menschen bergen, nein, die ganze Stadt wird in eine Abtrittsgrube umgewandelt, den Mundlöchern der Straßen entströmen erstickende Dünste, die Wohnungen der Menschen werden durch die aufsteigenden Gase, …, verpestet, die Fieberepidemien nehmen überhand… Unser Dresden, welches sich einer herrlichen frischen, gesunden Luft erfreut, und unser prächtiges wohlschmeckendes Trinkwasser, welches uns der Boden in Fülle spendet, diese Wohlthaten, die wir genießen, können wir unmöglich durch Anlage eines Systems, wie das des Kloakensystems, vernichten wollen.

Aber noch nicht genug, auch unser Elbstrom, dessen Anblick Fremde wie Einheimische erfreut, würde in eine Kloake umgewandelt werden, weil nach dem beantragten Project ein Abfangen der Düngstoffe am Ausflusse nicht möglich ist.“ Beantragt und beschlossen wurde folgerichtig ein „Verbot der Einführung von Kloakeninhalten in Entwässerungsschleußen“. Die Dresdner mussten die geruchsintensive Räumung der Kloakengruben, den Abtransport der Fäkalien per Pferdewagen und den Düngerablageplatz mit Eisenbahnverladestelle in Klotzsche noch einige Jahre ertragen. Ab den 1890er Jahren erkannte und berichtigte man dann diese Fehlentscheidung.

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.