Kaditzer Tunnelbauer kämpfen mit den Fluten
Frank Schönstädt steht in einer riesigen Baugrube, deren stählerne Wände elf Meter emporragen. Sie ist direkt neben der Kaditzer Grimmstraße. Bis Dienstag war die Grube noch teilweise überflutet. Jetzt ist das Wasser raus. Der Wilsdruffer Niederlassungschef der Spezial-Tiefbaufirma Braumann nutzt die Chance, bevor die Elbe wie angekündigt wieder weit über fünf Meter steigt. Wie fast jeden Tag seit Weihnachten ist er hier vor Ort, um sich ein Bild von der Lage zu machen und die nächsten Schritte abzustimmen. Schließlich ist das Großprojekt der Stadtentwässerung Dresden, an dem seine Spezialtiefbauer arbeiten, stark vom Hochwasser betroffen. Deshalb geht dort derzeit nichts mehr.
Die Baugrube: 55 Tonnen schwere Teile sichern den Boden
Gebaut wird hier ein 365 Meter langer Rohrtunnel bis zur Flutrinne und unter ihr hindurch zum Klärwerk. Das ist Teil des Industriesammlers Nord, der seit Sommer 2023 errichtet wird. Damit werden die Mikroelektronik-Betriebe im Dresdner Norden einen zehn Kilometer langen Anschluss ans Klärwerk Kaditz erhalten. Der Rohrtunnel ist fast fertig. Nur das letzte, fünf Meter lange Stück muss noch mit zwei Hydraulikpressen in die Erde gedrückt werden.
Doch das Hochwasser hat erhebliche Konsequenzen. „Ab dem 22. Dezember mussten wir alles darauf vorbereiten“, erklärt Projektleiter Schönstädt. Pumpen werden vom Grubenboden abgebaut, damit sie nicht überflutet werden. Zudem werden insgesamt 55 Tonnen schwere Stahlbetonrohre und Säcke eingehoben, um den Grubenboden vor Auftrieb zu sichern. Immerhin steht das Wasser hinter den Stahlwänden vier Meter hoch. Um noch mehr Last auf den Boden zu bringen, wird die Grube im ersten Schritt einen Meter hoch geflutet. Doch das reicht nicht. „Während der Weihnachtsfeiertage haben wir dann entschieden, die Pumpen ganz abzuschalten“, sagt er. Das Wasser steigt auf zwei Meter. Damit es nicht in den Rohrtunnel läuft, wird die große Öffnung mit Hölzern und Bauschaum verschlossen.
Jetzt sorgen die Tunnelbauer noch besser vor. Polier Enrico Vogel hat mit einem Kollegen eine stählerne Platte zugeschnitten, mit der die Öffnung des insgesamt zwei Meter hohen Rohrs verschlossen wird. „Bis Donnerstagmittag werden wir noch arbeiten, nachmittags müssen wir die Grube wieder fluten“, erklärt der Projektleiter.
Der Schutz-Schieber: Schotten dicht an der Elbe
„Das Hochwasser hat uns in den vergangenen beiden Wochen stark beschäftigt. Es hat aber alles gut funktioniert“, sagt Geschäftsführer Ralf Strothteicher von der Stadtentwässerung. Es gibt einen Hochwasserschutzplan, in dem alles genau geregelt ist. Ab einem Elbpegel von 2,96 Metern beginnen die ersten Schritte. So werden zunächst Hochwasser-Absperrschieber geschlossen. Etwa 50 Stück von ihnen enthält der Einsatzplan der Stadtentwässerung derzeit.
Die Pumpwerke: Anlagen scharfgeschaltet
Allerdings soll auch bei Starkregen und Hochwasser das an den Überläufen abgesperrte Kanalnetz weiter funktionieren. „Deshalb haben wir auch unsere Hochwasser-Pumpwerke scharfgeschaltet“, verweist Strohteicher auf den nächsten Schritt. Denn dann strömt deutlich mehr durch Regen- oder Grundwasser stark verdünntes Abwasser durch die Hauptkanäle. Hochwasser-Pumpwerke sollen sie vor dem Kollaps schützen.
Bis 2002 gab es für diesen Extremfall nur das Hochwasserpumpwerk im Klärwerk Kaditz. Vier bis zu 97 Jahre alte Regenwasserpumpen können dort bis zu 18.000 Liter je Sekunde in die Elbe pumpen.
Rund 18 Millionen Euro hat die Stadtentwässerung nach 2002 für zwei weitere derartige Anlagen investiert, davon 14 Millionen für das leistungsfähigste Hochwasserpumpwerk für den Altstädter Abfangkanal am Käthe-Kollwitz-Ufer. Dort können im Ernstfall bis zu 18.000 Liter je Sekunde über einen 270 Meter langen Auslaufkanal in die Elbe gepumpt werden. Doch nötig war das dieses Mal nicht, erklärt Strothteicher. Zudem steht das Flutpumpwerk in Altstetzsch für das Gebiet Stetzsch, Briesnitz und Kemnitz bereit. Zum Gebietsschutz gibt es noch weitere Hochwasser-Pumpwerke, eins davon unweit des Stausees Cossebaude an der Straße An den Winkelwiesen, ein weiteres am Hosterwitzer Eichbuschweg unweit des Nahkauf-Marktes.
Der oberirdische Schutz: Gullydeckel verschlossen
Damit Hochwasser auf überfluteten Straßen nicht durch Gullys in Kanäle eindringt, gibt es außerdem 140 verschließbare Schachtdeckel. Einerseits handelt es sich dabei um Drehdeckel mit Bajonettverschluss. Die wurden mit Vierkantschlüsseln ab genau festgelegten Pegelständen geschlossen. Zum anderen werden Stöpseldeckel, die die Öffnungen abdichten, mit Spezialschlüsseln verschlossen. Das geschah unter anderem am Terrassenufer und neben dem Blasewitzer Ende des Blauen Wunders am Schillergarten, führt Strothteicher zwei Beispiele an. Wegen der jetzt wieder ansteigenden Elbe müssen die Einsatzkräfte der Stadtentwässerung wieder ran.
Die böse Überraschung: Notdienst muss zu Weihnachten raus
Das mussten sie am Heiligen Abend ganz unplanmäßig, berichtet Klärwerkschef Gert Bamler, der damals Bereitschaftsdienst bei der Stadtentwässerung hatte. Doch wie so oft, kommen auch die kleinen Überraschungen, die für Anwohner erhebliche Konsequenzen haben. So für die im Wohngebiet am Weißiger Marienbad am Heiderand. „Durch den vorangegangenen starken Regen war der Boden dort total aufgeweicht“, erzählt Bamler. „Verzweifelte Anwohner hatten angerufen und uns anschaulich geschildert, dass die Toiletten nicht mehr funktionieren.“
In den Kanälen hat sich am Nachmittag das Abwasser bis zu den Grundstücken gestaut, das dortige Pumpwerk ist überlastet. Das stellen die Bereitschaftskräfte fest. Die Dunkelheit bricht ein. Selbst mit einem zusätzlich heranbeorderten Saugfahrzeug kann das Problem nicht gelöst werden. „Mit Handlampen haben unsere Leute dann die ganze Gegend abgesucht.“ Sie beobachten starke Strömung in einem Entwässerungsgraben und entdecken, dass der benachbarte Kanal an einer Stelle eingebrochen ist und das Wasser dort hineinfließt. „Wir haben dann schnell Sandsäcke rangeschafft und die Schadstelle bis 21 Uhr gesichert“, sagt Bamler. Dann funktionieren die Toiletten am Weihnachtsabend wieder.